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Sonntag, 31. Oktober 2010

John L. Hollands Theorie der Persönlichkeiten in Arbeitsumwelten. Theorien der Berufswahl 2. Teil 1

(Quelle: bitte Bild anklicken)

Die folgende Darstellung lässt sich leiten von der Darstellung der Theorie im Kapitel 9 „Holland’s Theory of Personalities in Work Environments“, von Arnold R. Spokane, Erik J. Luchetta, Matthew H. Wichwine, in Duane Brown (Hrsg.): Career Choice and Development. 4. Auflage, San Francisco 2002, S. 373-462), sowie: John L. Holland: Making Vocational Choices. A Theory of Vocational Personalities and Work Environments. 2. Auflage, Psychological Assessment Resources: Odessa, Florida 1992.

Die Theorie Hollands möchte ich als zweite Theorie vorstellen, weil insbesondere das Modell der sechs Persönlichkeitstypen auch in Deutschland breit rezipiert wurde. So liegt das Verfahren dem EXPLORIX-Werkzeug zur Berufswahl und Laufbahnplanung (Jörin 2008) zugrunde oder wird innerhalb der Projektseminare „Beruf und Studium“ der gymnasialen Oberstufen Bayerns verwendet, um Selbsteinschätzungen der Schülerinnen und Schüler durchführen zu können, die noch wenig konkrete Vorstellungen über ihre berufliche Zukunft haben (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München – ISB (Hrsg.) 2005; vgl. auch Kühnl u.a. 2009, S. 34ff.)

I. Hintergrund der Theorie

Wenn wir ein Individuum studieren, dann studieren wir immer auch die Umwelt, in der das Individuum lebt und mit der es interagiert. Die zugehörige Forschungsrichtung wird daher als „ökologische Psychologie“ (ecological psychology) bezeichnet. Von den Einflüssen der Umweltseite her betrachtet, bedeutet dies, dass sich Verhalten und soziale Rollen aufgrund der jeweiligen wesentlichen Umwelteigenschaften unterscheiden.
Parallel dazu lassen sich stabile Dispositionen wie Werte, Interessen, Persönlichkeit und das diesen Dispositionen entsprechende Verhalten ohne Aufwand identifizieren und studieren. Von der Persönlichkeitsseite her gesehen, bedeutet dies, dass die Dispositionen bestimmen, welche Umwelt das Individuum für sich auswählt oder aufsucht, mithin wie es sich verhält. Es sind aus dieser Sicht die individuellen Unterschiede zwischen den Menschen, welche verantwortlich für ihr Verhalten sind.

Beide Perspektiven zusammenfassend lässt sich die Person-Umwelt-Interaktion als Zusammenspiel eines unterscheidbaren, aber begrenzten, Satzes von stabilen Persönlichkeiten mit der Natur und den Forderungen der von ihnen bewohnten Umwelt beschreiben.

John L. Holland beginnt seine Arbeit 1959 mit der Hervorhebung des Suchaspektes der Person-Umwelt-Passung:

„The person making a vocational choice in a sense searches for situations which satisfy his hierarchy of adjustive orientations“ (Holland 1959, S. 35).

Die Berufswahl ist Ausdruck der Motivation, des Wissens, der Persönlichkeit und der Fähigkeiten eines Menschen. Andererseits: Berufe sind nicht einfach isoliert voneinander exisierende Sätze von Arbeitsfunktionen oder Arbeitsfertigkeiten, sondern vielmehr „Umwelten“. Berufe repräsentieren den way of life, eine bestimmte Art und Weise sich in der Welt zu bewegen, zu fühlen, zu denken, zu sein.

II. Ein praktisches Modell der Person-Umwelt-Interaktion

Im Laufe seiner jahrzehntelangen Forschungen kristallisierten sich sechs Grund-Typen heraus, die alle beruflichen Tätigkeiten beschreibbar werden lassen. Parallel dazu entwickelte Holland und Partner entsprechende Arbeitsumwelten.

„Holland’s theory describes the nature of disposition of the individual worker. He uses six basic personality-interest types and classifies the composition of the work environments in which those individuals functions, according to parallel set of constructs. The interaction of certain types (and subtype combinations) with specific environments predicts and explains the behaviour and interactions that occur in those environments (satisfaction, stability, performance, and so on).” (Spokane in Brown 2002, S. 378f.)

Die folgenden Thesen aus seinem Buch von 1997 geben einen Überblick:

1. In unserer Kultur können die meisten Menschen einem der sechs folgenden Typen zugeordnet werden: Realistischer, Investigativer, Artistischer, Sozialer, Unternehmerischer oder Konventioneller Typ (Realistic, Investigative, Artistic, Social, Enterprising, or Conventional).

Die Persönlichkeits- oder Interessentypen sollen nun etwas näher charakterisiert werden. Sie entstehen aufgrund von Veranlagung (genetische Komponente) und durch Aktivität, aktiver Auseinandersetzung in und mit der Welt (Handlungskomponente). Typen entstehen mithin aufgrund von Anlage im tätigen Prozess der Auseinandersetzung mit der Welt, die bestimmte Interessen auskristallisiert und nicht der Kontemplation oder Beobachtung, womöglich bloß medial vermittelter Erfahrungen. Der beschriebene Prozess kulminiert schließlich in einer Disposition oder einem Hang in bestimmter voraussagbarer Art und Weise zu handeln.
Die letzte Behauptung muss hier nicht weiter verfolgt werden. Sie scheint mir angesichts der sich kontinuierlichen Umweltveränderung fragwürdig. Im Kontext der schulischen Berufsorientierung wird man feststellen dürfen, dass aufgrund des Entwicklungsalters bei keinem der jungen Menschen der Prozess der Dispositionsbildung auch nur annähernd abgeschlossen ist. Dies wiederum hat Auswirkungen darauf wie sinnvoll, produktiv und nachhaltig mit den Ergebnissen von Testverfahren der Fremd- wie Selbsteinschätzung umgegangen werden sollte.

Die Theorie impliziert, dass viele Personen mehr als einen Typus umfassen, in den meisten Fällen bis zu einem gewissen Grad alle. Die individuelle Persönlichkeit ist ein Kompositum aus allen Typen, wobei jedes Individuum eine einzigartige Kombination und Ausprägung aufweist.

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