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Samstag, 31. Dezember 2011

Gottfredson's Entwicklungstheorie beruflichen Verhaltens 3: Das Selbst-Konzept


„Self-concept refers to one’s view of oneself – of who one is both publicly and privately. It has many elements, including appearance, abilities, personality, gender, values and place in society. Some elements are more central to one’s sense of self than others. People may not be able to articulate their self-concepts, nor may their self-perceptions always be accurate, but they act on them and protect them just the same. The self-concept is the object of cognition (the ‘me’), but it also reflects the person as actor (the ‘I’).” (Gottfredson in Brown 2002, S. 88)

Das Selbstkonzept-Konzept wird in diesem Aufsatz als dynamisches Ganzes beschrieben. Es hat relativ stabile („core self-conception“) und variable Anteile („working self-concept“), ebenso eher situationsinvariante und bereichsspezifische. Die Dynamik des Selbstkonzepts bzw. der Selbstschematisierung wird mit Mitteln des Konstruktivismus beschrieben. An Gottfredson’s Modellierung der Selbstentwicklung ist ebendiese Eindeutigkeit der Stufeneigenschaften moniert worden. Empfohlen wurde eine Sichtweise, welche diese öffnet für „individuelle Gewichtungsprozesse“ und dergestalt die festen beruflichen Orientierungen wie Geschlechtstyp, Prestige und Interessen relativiert.

Ich orientiere mich an der Modellierung wie sie Gottfredson z.B. im Sammelband von Brown 2002 vorgestellt hat, ohne damit unterstellen zu wollen, dass es sich hier um absolute Wesensaussagen handelt. Im Vordergrund meines Interesses stehen praktische Aufgaben wie z.B. die Beachtung der Genderproblematik innerhalb der Berufsorientierung. Für diese Zwecke reicht es – will mir scheinen – aus, die Geschlechtstypisierung wie sie Gottfredson beschreibt als regulative Idee (Kant) zu verwenden. (Zur Diskussion von Stabilität und Variabilität bzw. Malleabilität des Selbstkonzept-Konzepts vgl. Michael Kernis und Brian Golgman: Stability and variability in self –concept and self-esteem, in: Mark Leary und June Price Tangney (Hrg.): Handbook of self and identity, New York: Guilford 2003, S. 106-127 und Günter Ratschinski: Selbstkonzept und Berufswahl, Münster: Waxmann 2009, insbes. S. 53f. und 82f.)

Das Bild verlinkt eine interessante Präsentation von Herrn Ratschinski zum Thema

Über die Berücksichtigung des Selbst wird die Person in den Mittelpunkt des Prozesses gestellt, nicht als zu beschreibendes und „formendes“ Objekt, sondern vor allem, wenigstens idealiter, als kreativ-kompetentes Subjekt. Da das Selbst viele, wenn nicht alle Fäden in der Hand halten kann, kann es auch Einfluss darauf nehmen, an welchen gezogen wird.
Das Selbstkonzept tendiert zur Stabilität. Beim negativen Selbstkonzept ist dies problematisch, denn positiven Erfahrungen werden nur bedingt Glauben geschenkt. Im Gegenteil, die Person sucht aktiv nach einer Bestätigung des eigenen, negativen Selbstkonzepts, etwa, indem der Umgang mit Personen bevorzugt wird, der die Person unvorteilhaft sieht. Es geht weniger um die Wahrheit, als um die Bestätigung des Selbstkonzepts.
Die Ausprägung des Selbstkonzepts hat Auswirkungen auf das affektive Selbstmoment, die Selbstbewertung, also auf das Selbstwertgefühl. Ein negatives Selbstkonzept führt zu einer niedrigen Selbstbewertung. Don E. Hamachek (Encounters with the Self, New York 1982, S. 3ff., zitiert nach: Ronald B. Adler u.a.: Looking out/Looking in. 10. Auflage, Fort Worth 2002, S. 58) stellt Personen mit hohem Selbstwertgefühl solchen mit niedrigem gegenüber und charakterisiert sie.

Zunächst Personen mit hohem Selbstwertgefühl:

“1. Likely to think well of others.
2. Expect to be accepted by others.
3. Evaluate their own performance more favourably than people with low self-esteem.
4. Perform well when being watched: not afraid of other’s reactions.
5. Work harder for people who demand high standards of performance.
6. Inclined to feel comfortable with others they view as superior in some way.
7. Able to defend themselves against negative comments of others.”

Nun solche mit niedrigem Selbstwertgefühl:

“1. Likely to disapprove of others.
2. Expect to be rejected by others.
3. Evaluate their own performance less favourably than people with high self-esteem.
4. Perform poorly, when being watched: sensitive to possible negative reaction.
5. Work harder for undemanding, less critical people.
6. Feel threatened by people they view as superior in some way.
7. Have difficulty defending themselves against others’ negative comments; more easily influenced.”

Die Auswirkungen sind beeindruckend.

Das Selbstkonzept ist subjektiv. Dies kann, muss aber nicht nachteilig sein. Jedenfalls bietet es einen geeigneten Ansatzpunkt für Pädagogik. Eine Selbstsicht aus der Perspektive des halb vollen Glases (z.B. der eigenen Kompetenzen) einzunehmen, hat gegenüber der des halb leeren (z.B. der eigenen Defizite) deutliche Vorzüge. Andererseits eröffnet die Selbstkonzepttheorie therapeutische Möglichkeiten: gerade der Ansatz beim unangemessen negativen Selbstbild bzw. seinen Kognitionen („Ich bin hässlich!“) kann der zu einer erhöhten Zufriedenheit und seelisch-körperlichen Gesundheit sein. Nicht zuletzt Lehrer haben hier eine große Verantwortung.


I am not what I think I am.
I am not what you think I am.
I am what I think you think I am.

Aaron Bleiberg u. Harry Leubling


Hier das passende Video dazu:


Setzen wir nun die Skizze der Selbstkonzept-Theorie fort. Über die theoretische Ausdifferenzierung des Selbst in



  • das kognitive Selbst („Selbstkonzept“, „Selbstschema“, „Selbstbild“),
  • das affektive Selbst („Selbstwertgefühl“ bzw. das sich bewertende Selbst) und
  • das konative Selbst (handelnde bzw. handlungsbereite, da selbstwirksamkeitsüberzeugte Selbst)

lassen sich weitere fruchtbare Ansätze herleiten. Die Selbstbegrifflichkeit vermag derart verschiedene Ansätze zu bündeln (z.B. den konstruktivistischen Ansatz, bei dem das kognitive Selbst bzw. das kognitive Moment des Selbst im Vordergrund steht und die sozial-kognitive Theorie, welche die Selbstwirksamkeit betont) und vielleicht die Richtung zu einer einheitlicheren Theorie der Berufswahl zu weisen.

Zugleich können entwicklungspsychologische Erkenntnisse eingebracht werden, welche den angemessenen Anteil der sich orientierenden Person nunmehr in Abhängigkeit von ihrem Entwicklungsalter beschreibt. Für die schulische Berufsorientierung, die sich innerhalb rasanter Entwicklungsphasen des jungen Menschen bewegt, sind diese Erkenntnisse ebenfalls essentiell.
Dies geht auch mit einer zunehmenden Verantwortung der Person gegenüber der zu vollbringenden Orientierungsleistung einher. Die Person gestaltet ihre berufliche Orientierung. Die Berater und Lehrerinnen unterstützen und streben ihrem ureigenen Ziel entgegen: überflüssig zu werden.

Das „Selbstkonzept“ näherhin beschreibt zweierlei, einerseits wie eine Person sich selbst sieht, andererseits die sehende Person, als Autor der Handlung. Im Vordergrund der Betrachtung steht aber das wahrgenommene Selbst. Es hat einen öffentlichen und einen privaten Aspekt. Zu seinen Elementen gehören das Aussehen, Fähigkeiten, Persönlichkeit, Geschlecht, Werte und Standort in der Gesellschaft. Einige Elemente sind zentraler als andere. Wichtig ist, dass das Selbstkonzept oder bestimmte Elemente davon auch dann wirksam sind und von der Person geschützt werden, wenn die Person sie nicht klar benennen und artikulieren kann.


Bezogen  auf den berufsorientierenden Auftrag der Schule bedeutet dies, dass immer wieder geeignete Gelegenheiten geschaffen werden sollten, in denen sich Schülerinnen und Schüler mit ihren Selbstkonzepten auseinandersetzen können. Diese Aufgabe ist nicht einfach. Aufgrund des engen Zusammenhanges zwischen Selbstkonzept und Selbstwertgefühl sucht eine Person ihr Selbstkonzept zu schützen und vermeidet so aktiv die Selbsterfahrung oder schränkt ihre Offenheit gegenüber Zumutungen der Umwelt ein. Dies gilt insbesondere für Erfahrungen in der Gruppe mit stark kognitiver Färbung, also in typischen Unterrichtssettings. Auch aus diesem Grund ist es wertvoll, Schülerinnen und Schülern außerhalb der Schule handlungsorientierte Möglichkeiten anzubieten sich zu erfahren, um mit sich ins Gespräch zu kommen.

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